Edergold

Auch in dieser Sage begegnet uns der Eck wieder. Es geht darin um einen Sohn, der um sein Erbe gebracht werden soll und durch Ecks Hilfe dann doch zu seinem ihm zustehenden Vermögens gelangt. Diese Sage hat sowohl eingang in die "Waldecker Geschichten" als auch in das Märchenbuch "Wichtelkönig Eck" gefunden.

Vor langen, langen Zeiten da lebte auf der Burg Viermünden an der Eder ein Ritter gleichen Namens. Auf Kriegszügen im fernen Ungarland hatte er ein reiches Edelfräulein kennengelernt, das er sehr liebte. Er nahm es zu seiner Gemahlin und brachte es heim nach Viermünden auf seine Burg. Acht Tonnen feinstes Gold brachte seine Angetraute als Mitgift mit auf die Burg. Sie verbrachten zusammen ein glückliches Jahr in den Ederbergen und das Edelfräulein schenkte dem Ritter ein Knäblein, welches hernach Kurt genannt wurde. Doch starb die Gemahlin des Ritters bei der Geburt des Jungen.
Der Ritter war lange Zeit voll Trauer über den Verlust seiner Liebsten. Nur durch die unablässigen Bitten seiner Verwandten und Burgmannen, er solle doch wieder auf Brautschau gehen und dem alten Edelsitze wieder eine Herrin geben, brachten ihn dazu nach Jahren wieder zu heiraten.
Diesmal wählte er eine Ritterstochter aus dem Hessenland. Auch diese schenkt ihm einen Knaben, welchen sie Hold nannten. Zu seiner großen Betrübnis musste der Rittersmann bald erfahren, dass sein geliebter Sohn Kurt, der schönen Ungarin Kind, seiner neuen Gemahlin von Tag zu Tag mehr im Wege war. Hold, ihr eigener Sohn und Liebling, wurde dem Kinde der Fremden bei jeder Gelegenheit vorgezogen.

Jahre waren vergangen. Im Gefolge des Grafen von Waldeck musste der Ritter von Viermünden nebst seinem Sohn Kurt, der inzwischen zum Jüngling herangewachsen war, an einem Kriegszug teilnehmen. Wie üblich tat er vor Scheiden seiner Gemahlin seinen letzten Willen kund, wonach dem jüngeren Sohn Hold die Burg Viermünden zufallen sollte, Kurt aber das Erbteil seiner Mutter, die acht Tonnen feinstes Gold, die wohlverwahrt in der Schatzkammer seiner Burg gelagert waren, bekommen sollte. Der Ritter dachte, dass sich sein Sohn Kurt von diesem Gold einmal einen anderen Edelsitz kaufen oder bauen könnte und auf diesem dann in Frieden leben könnte. Beide zogen dann aus zum Kampfe.
Nach langen, schlimmen Kriegsjahren war Kurt allein auf dem Weg zur Heimat. Sein Vater, wie auch sein Pate, der Graf von Waldeck, waren gefallen. Er selbst hatte sich Ruhm und Ehre errungen und als Lohn für sein tapferes Verhalten den Ritterschlag empfangen.
Inzwischen war längst seiner Stiefmutter die Kunde vom Tode ihres Gatten zu Ohren gekommen und in ihrer Seele reifte ein teuflischer Plan.
Als der Wasserstand der Eder niedrig war, ließ sie den Fluss am Ufer abdämmen und von einem ihr treu ergebenen Diener, den sie durch reiche Geschenke bestochen hatte im Flussbett, nahe dem Ufer ein Gewölbe mauern. An einem Sonntag, als das ganze Burggesinde zu einem Fest in der Umgegend ausgezogen und nur der Mitwisser ihres Planes auf ihren Wunsch hin zurückgeblieben war, versprach sie ihm einen hohen Lohn und die Stelle als Burgvogt auf Lebenszeit, wenn er ihr heimlich all’ die Goldtonnen in das Versteck brächte. Sie fürchtete immer, sie könnten geraubt werden; in dem Gewölbe unter der Eder wären sie aber sicher. Der Diener versprach ihr, alles zu tun, schaffte die Last nach der Eder hinab und wälzte die schweren Goldtonnen in das Gewölbe. Dann wurde es wieder gut verschlossen, Flusssand darüber gebreitet und der Damm durchstochen, dass die Ederwellen wieder über die Wölbung strömten, als wäre nichts geschehen. Ans Ufer pflanzte die Burgfrau eine Tanne, um ihre seltsame Schatzkammer jederzeit wiederfinden zu können. Niemand wusste um ihr böses Vorhaben, nur Gott und der Eck auf dem Treustein, der durch sieben Berge sehen kann. Der ballte die Faust und schwur ihr Vergeltung.
Als sie von ihrem heimlichen Werk wieder auf der Burg ankamen, stieß die teuflische Frau dem ahnungslosen Diener einen Dolch in den Nacken, dass er auf der Stelle tot hinfiel. Nun gab es keinen Mitwisser mehr, der ihre Freveltat hätte an den Tag bringen können. Sie selber legte sich Fesseln an, als wäre sie überwältigt worden. Als die fröhliche Schar vom Feste heimkehrte empfing sie sie mit Weinen und Wehklagen und erzählte, Räuber hätten die Burg überfallen, sie selber sei misshandelt und gefesselt, der Diener, der sich zur Wehr gesetzt, niedergestochen und alles Gold geraubt worden. Und als eines Tages der junge Ritter Kurt im Burghof einzog, belog sie ihn in derselben Weise und bereitete ihm einen sehr kühlen Empfang. Sie sagte ihm, nach dem letzten Willen seines Vaters hätte er kein Heimatrecht mehr auf ihrer Burg.
Voll Kummer stieg Kurt auf sein Pferd und kehrte traurigen Herzens der Heimatburg den Rücken. Er wollte nach dem Schloss Waldeck reiten; aber tief in Gedanken verloren überließ er seinem Ross die Führung und wurde erst aus seinen Sinnen aufgeschreckt, als es an einer Tanne unweit der Eder stehen blieb. Da er sehr müde war, stieg er ab, band sein Pferd an den Tannenstamm und setzte sich im kühlen Schatten nieder, um zu rasten. Bald lag er im süßen Schlummer. Im Traum war es ihm, als hört er ein dumpfes Dröhnen und Rollen und wie aus den Tiefen der Erde ein leises Lied:
„Wir liebten unsern gnädigen Herrn
Und hatten seinen Freund auch gern.
Dem Sohne, der am Ufer ruht,
Dem geben wir zurück sein Gut“.
Rasch sprang er auf. Da klatschte etwas in die Ederwellen, dass sie hoch aufspritzte und wie Goldglanz schimmerte es vom Flutengrund; ein Leuchten lag über dem Sandbett des Flusses. Um ihn her war ein geheimnisvolles Huschen und Springen, aber er sah nichts von den Ederzwergen; ihre Hollenhauben machten sie unsichtbar. Neben ihm am Ufer standen sieben Tonnen, bis zum Rand vol Gold. Und wieder begann der wundersame Gesang:
„Oh weh, er ist zu früh erwacht,
Nur sieben sind’s, es waren acht.
Die Körner fielen in den Sand
Und fließen bis zum Meeresstrand.
Vom bösen Weib war’s klug bedacht
Doch unser Eck hat treu gewacht.
Sieh hier dein Erbe; nimm es an
Und bleib’ ein wackrer Rittersmann“.
Nun begriff Kurt alles. Dem treuen Hollenvolke, das ihm sein Erbe wiedergab, war vor Schrecken über sein rasches Erwachen die letzte Tonne entglitten und hatte ihre Goldschätze in die Fluten verstreut. Kurt sagte den treuen Zwergen vielen Dank und bat sie das Gold im Flusse als ihren Lohn und ihr Eigentum zu betrachten oder Armen damit zu helfen; er habe doch noch genug. Dann brachte er sein Erbe in Sicherheit und kaufte sich später die Burg Nordenbeck. Zur Burgherrin machte er eine waldeckische Gräfin.
Unterdessen war auch Hold herangewachsen und war ein rechter Taugenichts und Verschwender geworden. Seine Mutter ließ ihrem Liebling immer gewähren, denn sie dachte an den unermesslichen Goldschatz in den Fluten. Als er sein väterliches Erbe bis auf den letzten Heller durchgebracht hatte und wie gewöhnlich in großer Geldnot war, vertraute sie ihm ihr Geheimnis an und erzählte von den Goldtonnen. Auf der Stelle musste sie mit ihm gehen, um ihm den Ort zu zeigen. Er ließ den Fluss abdämmen und das Gewölbe freilegen. Aber als sie den Schlussstein bei Seite wälzten, war das Gewölbe leer und ringsum erhob sich ein helles Hohngelächter. Voller Wut ließ Hold seine Mutter in den Burgturm werfen und wurde von Stund’ an ein richtiger Raubritter. Die Leute nannten ihn nur noch den Unhold. Als seine Lehnsherren, den Landgrafen von Hessen, sein tolles Treiben zu arg wurde, ließen sie ihn einfangen und setzten ihn selbst ins Verlies, aus dem sie die arme Mutter befreiten. Kurt vergalt Böses mit Gutem und lud sie zu sich auf die neue Burg, wo sie fortan in Frieden lebte, aber bald verschied.
Die Erbstreitigkeiten zwischen den beiden Häusern nahmen lange Zeit kein Ende. Erst unter Anna von Viermünden wurden sie glücklich geregelt. Aus Dankbarkeit erbaute Anna von Viermünden die Nordenbecker Kapelle.
(Der Ursprungstext, der hier nur an wenigen Stellen bereinigt wiedergegeben wurde, stammt aus: ein Sagenkranz aus dem Waldecker Land von Oswald Koenig und L. Urspruch)

(Der Ursprungstext, der hier nur an wenigen Stellen bereinigt wiedergegeben wurde, stammt aus: ein Sagenkranz aus dem Waldecker Land von Oswald Koenig und L. Urspruch)