Die liebliche Blume am Weidelsberg

Auf dem Weidelberge *), wo der ungeborene Reinhard gewohnt hat, soll noch ein ganzer Keller voll Geld sein, eine weiße Jungfrau, die darin verwünscht ist, verwahrt das Geld. Vor dem Keller ist eine eiserne Türe, vor welcher ein großes Schloss hängt. Wer die Jungfer erlösen und das Geld haben will, der muss auf Johanni hingehen und eine Blume, die da wächst, suchen. Wenn die Jemand findet und damit vor die Türe kommt, dann springt diese auf und das Geld gehört ihm und die Jungfer ist erlöst. Er muss sich aber ja in Acht nehmen, dass er die Blume im Keller nicht verliert, sonst ist er des Todes. Nun hütete einmal auf Johanni ein Schäfer auf dem Weidelberge. Der findet so eine liebliche Blume, die pflückt er ab und steckt sie vor den Hut. Jetzt wurde der Schäfer müde, geht hin und will sich vor die eiserne Türe legen und ein wenig schlafen. Als er aber an die Türe rührt, da springt sie auf, dass er einen Todesschrecken bekommt und fort läuft. Er ist aber doch neugierig und will nachsehen, was im Keller ist. Als er hinkommt, da quittert **) und blinkt Alles von Silber und Gold. In der Mitte ist ein Tisch, auf welchem ein Licht brennt, dabei sitzt eine weiße Jungfrau auf einem goldenen Stuhle.

Die nickt ihm freundlich zu und zeigt auf das Geld hin. Jetzt bekommt er Mut, geht hin und füllt sich alle Taschen voll Geld, verliert aber im Eifer die Blume von dem Hute. Als er nun alle Taschen voll hat, da will er wieder zurück nach seinen Schafen. Aber die Jungfer ruft ihm zu: Vergiss das Beste nicht! Hiermit wollt sie sagen, er solle die Blume nicht vergessen, sonst könne sie nicht erlöst werden. Der Schäfer verstand das nicht und glaubte, er solle sich noch mehr Geld nehmen und raffte nun auch den Hut voll, aber an die Blume dachte er nicht und wollte wiederum fortgehen. Die Jungfer rief ihm zum zweiten Male zu: Vergiss das Beste nicht! Nun weiß er aber gar nicht was das bedeuten soll und glaubt, er solle immer mehr Geld nehmen und steckte nun auch den Quersack, in welchem er sein Abendbrot hatte, voll und will nun weggehen. Da ruft die Jungfer noch einmal ganz bedauerlich: Vergiss das Beste nicht! Er aber hat so schwer, dass er nichts mehr tragen kann und geht zur Türe hinaus. Da fliegt die Türe hinter ihm zu und schlägt ihm beide Hacken ab. Und von der Zeit an hat er nichts mehr von der eisernen Türe gesehen.
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*) Weidelsberg bei Naumburg; **) glitzert
Text aus: "Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck" von Louis Curtze, erschienen im Verlag A. Speyer, Arolsen 1860

Informationen zur Weidelsburg finden Sie unter https://www.info-waldeck.de/historisches/aus-dem-umland