Wildungen 1945

(Ein Wildunger berichtet aus seiner Jugendzeit)

Am 30. März 1945 rückten die Amerikaner in Bad Wildungen ein. Wir Kinder hatten von der Hinterstraße aus beobachtet wie die Panzer von Hundsdorf kommend durch das Feld in Richtung Braunauer Warte rollten. Als wir nichts mehr beobachten konnten ging ich nach Hause und fand alle in Aufregung. Meine damals 9-jährige Cousine war verschwunden. Ich ging in Richtung Kaiserlinde, Bahnhofstraße um sie zu suchen. Plötzlich kam ein Deutscher Wehrmachts-LKW aus der Stadt und fuhr in Richtung Wega. Kurz nachdem dieser die durch Bäume geschützte Bahnhofstraße verlassen hatte und sich auf der Wegaer-Landstraße befand, etwa in Höhe vom heutigen Autohaus Marc fielen Schüsse und der LKW wurde getroffen. Ich lief schnell nach Hause und fand meine Cousine wohlbehalten dort vor. Ängstlich warteten wir im Haus auf die Dinge die jetzt kommen würden. Kurze Zeit später kamen die Amerikaner. Vorweg ein Jeep, auf der Motorhaube der verwundete deutsche LKW-Fahrer, die anderen Soldaten waren gefangen genommen worden, und auf dem Beifahrersitz der Bahnhofswirt Karl Rohde. Die Fahrt ging zum Rathaus, in dem Fritz Rothauge die Stadt den Amerikanern übergab. Soweit etwas von dem Einzug der Amerikanern.

Dann kamen die Befehle der Besatzungsmacht. Ausgangssperre für die Bevölkerung. Nur morgens und Abend dufte man für eine Stunde zu Erledigung wichtiger Arbeiten und Aufgaben, wie Einkäufe etc. auf die Straße. Alle Waffen (Schuss- Hieb- und Stichwaffen mussten abgeliefert werden, darunter manches altes Erinnerungsstück. Häuser wurden beschlagnahmt und mussten von der Zivilbevölkerung geräumt werden. An allen möglichen Stellen wurden Baracken und Zelte für Amerikanische Soldaten aufgestellt. Auch einige Lazarette mussten geräumt werden. Die Verwundeten wurden z.B in die Breiter-Hagen-Schule verlegt. Um die Lazarette wurden Stacheldrahtzäune errichtet und viele Wachposten aufgestellt. In das Cafe Schwarze kam das Hauptquartier der Amerikaner.

Die Bevölkerung wurde registriert, man durfte sich nicht vom Wohnort entfernen
ohne einen Passierschein zu beantragen. Es wurden neue Lebensmittelmarken ausgegeben. Soweit man noch Arbeit hatte ging man morgens in der Ausgehzeit los und beendete die Arbeit am Abend so, dass man noch während der Ausgehzeit noch nach Hause kam. Die keine Arbeit hatten mussten sich täglich auf dem Arbeitsamt im Rathaus melden und wurden, soweit Arbeit vorhanden war, damit beauftragt.

Viele, so auch ich wurden zu den Amerikanern befohlen. Wir mussten z.B. das Badehotel und später den Fürstenhof für Amerikaner in Ordnung bringen. Umrüsten von Lazarett auf Quartiere für Offiziere. Danach wurde ich zur Fahrbereitschaft befohlen. (Einige PKW und LKW waren da zusammengezogen und dienten in Ausnahmefällen mit Fahrer und Beifahrer der Zivilbevölkerung.)

Das dauerte so lange bis wir bei der Hauptverwaltung der Firma Mauser, die im ehemaligen Landratsamt war, wieder Arbeiten konnten. Die Zeit dauerte nicht lange und wir mussten umziehen in die Berufsschule. Das ehemalige Landratsamt war auch noch durch die Amerikaner beschlagnahmt worden.

Zwischendurch eine große Freude für die Bevölkerung. Auf die Lebensmittelmarken wurde pro Kopf ein Kilo Butter (Fassbutter) ausgegeben. Eine Menge die man sich nach den langen Jahren der Entbehrung gar nicht mehr vorstellen konnte.

Die Bestimmungen über die Ausgangszeiten wurden mehr und mehr gelockert, bis sie endlich ganz aufgehoben wurde. Nach und nach kam wieder ein geregelter Alltag. Die Hauptverwaltung von Mauser wurde wieder nach Köln verlegt und wir hiesigen Mauser-Mitarbeiter und Lehrlinge wurden in das Werk Waldeck versetzt. Auf uns kam eine enorme Belastung in Form der Bahnfahrt zu. Die Züge total überfüllt und von Pünktlichkeit konnte keine Rede sein. Morgens ging das noch, weil der Zug in Wabern eingesetzt wurde. Am Abend aber waren drei Stunden Verspätung keine Seltenheit. Wir erkundigten uns am Bahnhof in Waldeck wo der Zug derzeit sei und wenn der Zug noch nicht einmal in Korbach war, gingen wir zu Fuß über die Gleise los bis Buhlen. Dort die nächste Frage an den Bahnbeamten „Wo ist der Zug jetzt?“, und vielfach wieder noch nichts vom Zug in Korbach bekannt. Dann ging es weiter nach Bergheim. War auch hier noch keine Aussicht auf Beförderung mit der Bahn, dann gingen wir nach Anraff und von dort den Berg hoch nach Wildungen. Diese Prozedur kam nicht selten vor.

1946 kamen die ersten Flüchtlinge aus dem Osten. Auch für diese armen Leute musste noch Wohnraum besorgt werden. Wieder hieß es Zusammenrücken. Die Besatzungsmacht wurde nach und nach verkleinert bis 1956 der Fürstenhof als letztes Gebäude freigegeben wurde. Langsam aber stetig besserte sich alles.

Als dann die Währungsreform 1948 kam konnte man auch alles, zumindest theoretisch, wieder kaufen. Nur da fehlte es dann an Geld. Aber die Leute waren nicht anspruchsvoll und mit jeder DM die in den Lohntüten war wurden mehr und mehr langgehegte Wünsche erfüllt. Und so kam dann der große Aufschwung. Die Wünsche wurden immer größer, das Geld saß lockerer, man bekam ja auf der Bank auch Kredite. Manch einer hat sich so wieder in ein neues Elend herein geritten.
____________________

(Erzählt von Kurt Franz, geb. 04.04.1930 in Bad Wildungen)