Die Wichtelmänner

Es klopft am Haus des Fährmanns in stiller Mondscheinnacht,
Und durch die Läden raunt es: „He! Fährmann, aufgemacht!
Fahr‘ über gleich zur Stunde der Wichtelmänner Schar,
Die hüben bei den Elfen zum Fest „Johanni“ war.
Es soll ein Lohn dir werden, wie du ihn nie geseh’n,
Dass ohne Sorg‘ und Nöte du kannst durchs Leben geh’n!“

Der Fährmann reckt die Glieder, schaut gähnend in die Nacht
Und zählt die winz’gen Leutchen, es sind kaum mehr denn acht.
Nun Krabbeln sie ins Schifflein und kichern silberhell:
„Zu Fährmann zu, fahr‘ über, zu, Fährmann, schnell, mach‘ schnell!“

Der fasst die zähe Stange und lacht der winzgen Last.
Doch halt! Doch sieh! Was ist das? Er schaut sich um mit Hast.
Das Schiff sinkt bis zum Rande ja in die helle Flut!
Und wie er rückwärts schauet, entfällt ihm jäh der Mut.
Das kribbelt und das krabbelt, das pfeift, das singt, das lacht!
Er zählt und zählet staunend, das sind ja mehr denn acht!
Viel hundert kleine Leute hat er bereits im Kahn,
Und immer klettern welche noch über Bord heran.
Er stösst mit Hast vom Lande, erschrocken bis zum Tod,
Gewinnt das andre Ufer mit Mühe nur und Not.
Hu, wie das springt und krabbelt vom Kahne an den Strand!
Es fliegt, es knirscht, es knistert der feine Edersand.
Wie er, die Stirn sich trocknend, den Hut hält in der Hand,
Da wirft hinein ein jeder ein Händchen feinen Sand.
Da wird der Alte wütend: „Das soll die Zahlung sein?“
Dann wirft er die Bescherung flugs mang die Leutelein.
Die stieben auseinander mit Hast durch Schilf und Rohr,
Noch aus der Ferne schallt es: „Du Tor, du blöder Tor!“

Der Fährmann lenket heimwärts, erzählet, was geschah,
Gleich seiner treuen Alten, die steht versteinert da.
Ihr Auge wird gar ernsthaft, sie wiegt das Haupt und spricht:
„Du bist ein rechter Stoffel! Sand? – Sand war das ja nicht.
Die Wichtelmänner zahlen ja nur mit purem Gold,
Das unser Fluss im Sande hinab zum Meere rollt.
Das hat die Ellermutter mir manches Mal erzählt;
Leicht wärst du reich geworden! Nun heisst’s auf neu gequält!“

Sie hatte wahr gesprochen; denn in dem alten Hut,
Da blinkten helle Körnchen vom Golde gelb und gut.
Das war der Rest von denen, die er in heller Wut
Geworfen in den Haufen; - wie wird ihm weh‘ zu Mut!
Er raset hin zum Ufer, es ward ihm licht und klar,
Dass was für Sand er hielte, ja Edergold nur war.
Er sucht den Platz, wo gestern er stand, wo er im Zorn
Den Sand dahin geschmettert - - - kein Körnchen und kein Korn.
Drauf hat er oft gestanden am Fluss in Harm und Prasst,
Hat manche Nacht am Ufer den Männlein aufgepasst.
Doch nimmer sah er wieder der Wichtelmänner Schar;
Sie sind dahin gegangen, - verschwunden ganz und gar.
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(Gedicht aus Anraff an der Eder)
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Gedicht von Chr. Fleischhauer aus: Waldeckisches Heimatsbuch 1. Teil, Verlag: Chr. Hundt, Bad Wildungen 1906.
Worterklärungen
mang - zwischen
Ellermutter - Großmutter